Nora Nova: Grande Dame kontra Teenager
Nora Nova hat viele Facetten. Sie war Sängerin, sie war Boutiquen-Betreiberin, sie war politische Aktivistin und nun ist sie auch noch Buchautorin. In Bulgarien hat sie unter dem Titel „Es ist nicht wichtig, wie du stirbst, es wichtig, wie du gelebt hast“ die Geschichte ihres Lebens veröffentlicht. Nora Nova wurde von den Produzenten mit dem Image „Grande Dame“ gestartet, in einer Zeit, als die Jugend mit Twist und Beat eine eigene Lebensart fand und mit der eleganten Welt der Erwachsenen auf Opposition ging. Ein Versuch, der missraten musste, weil das Musikgeschäft sich vom Erwachsenenmarkt abwandte und sich nach dem Teenymarkt ausrichtete.
Von Wälz Studer/Copyright memroryradio.de
Nora Nova deren Geburtsjahr zwischen 1928 und 1943 irrlichtert, hat einen Teil ihrer Jugend in Berlin verbracht. Ihr Vater war dort bis 1944 Diplomat im Dienst von Zar Boris dem Dritten. Verbürgt ist, dass Nora Nova in Deutschland die Schule besucht hat. Das Geburtsdatum 1943 kann deshalb nicht stimmen. Ich habe nun mit der Künstlerin telefoniert. Dabei bestätigte sie die Information, wonach in ihrem Pass 1943 als Geburtsjahr steht. Dies war möglich, weil ihr in Deutschland die Papiere gestohlen wurden. Da sie als Ostflüchtling keine Geburtspapiere beibringen konnte, waren die Beamten auf die Aussagen von Nora Nova angewiesen, als sie den neuen Pass ausstellten. Dort hat sie sich um Jahre jünger gemacht. Gegenüber mir gab sie 1936 als Geburtsjahr an. Das könnte im Grundsatz hinkommen. Das Geburtsjahr 1928 bestritt sie so vehement, dass ich geneigt bin, ihr zu glauben. Sie sagte mir gegenüber, 1928 sei ihre Schwester auf die Welt gekommen, und zwar am 2. August. Andererseits meine ich, dass es Hinweise gibt, dass Nora Nova letztes Jahr 80 geworden ist. Also könnte auch 1933 als Geburtsjahr in Frage kommen.
Nora Nova ist dem Monarchismus verpflichtet. Nach dem Fall der Mauer ging sie zurück nach Bulgarien. Sie engagierte sich 2001 bei der Gründung der monarchistischen Bewegung, deren Exponent Simeon Sakskoburggotski ist, der Sohn von Zar Boris dem Dritten. Sie liess sich ins Parlament wählen, verzichtete aber auf ihren Sitz. In den Jahren von 1944 bis zur Flucht im Jahre 1989 wurde sie von den Kommunisten als Mitglied einer Familie von Monarchiesympathisanten argwöhnisch beobachtet und überwacht. Nova selbst spricht von „Verfolgung“. 1959 heiratete gemäss einer rumänischen Quelle den Buchhalter des ostdeutschen Zirkus „Busch“. Die Ehe war ein Akt der Vernunft und sollte die Flucht in den Westen ermöglichen. Nach einigen Widerständen konnte Nora Nova zu ihrem Mann nach Ostdeutschland ausreisen. Kurz darauf bat das Ehepaar 1959 in Berlin um Asyl.
Offenbar verstand die Nova etwas vom Marketing. Sie konnte sich als bulgarischer Star darstellen, der sein Liebesglück im Westen fand. So soll die Berliner Zeitung eine Schlagzeile gebracht haben mit dem Titel „Oststar findet Glück unter freiem Himmel“.
Der Begriff „Oststar“ kann höflich gesagt als „hoch gegriffen“ bezeichnet werden. Nora Nova hatte in Sofia eine Gesangsausbildung absolviert. Sie hatte sich in den Clubs einen Namen gemacht als Jazzsängerin. Verbürgt ist, dass Nora Nova ab mitte der 50er Jahre erst unter ihrem bürgerlichen Namen Ahinora Kumanova und später unter ihrem Künstlernamen in den Jazzclubs von Sofia aufgetreten ist. Nur: Platten hat sie in Bulgarien nach eigenen Aussagen keine veröffentlicht. Hingegen will sie in Rumänien mit den „Optimisten“, einer angesagten bulgarischen Big Band, in Rumänien drei Platten aufgenommen haben. Im Internet sind keine Spuren dieser Singles zu finden.
Alles in allem war also eine No-Name-Künstlerin im Westen angekommen. Aber eine, die sich zu verkaufen wusste. Und eine mit Talent und Ehrgeiz. Das zahlte sich aus: 1960 gewann Nora Nova einen Talentwettbewerb und durfte darauf bei Werner Müller im RIAS Berlin zwei Probeaufnahmen machen. Es sollen zwei Nummern von Rosita Serrano gewesen sein. Ob die eine (Ti-Pi-Tin) später für die zweite Single verwendet wurde, bleibt offen. Die Aufnahmen verliefen offensichtlich erfreulich. Laut Nova durfte sie danach auf Vermittlung von Werner Müller in einer Fernsehsendung auftreten. Dank diesem Auftritt wurde die Electrola auf sie aufmerksam. Produzent Nils Nobach und Komponist/Verleger Rudi von Dovenmühle nahmen sich der Sängerin an. 1961 lancierte Electrola das Forum „Die grosse Chance“. Es wurde mit der Single „Sucu Sucu/Ich bleib bei dir (I cried a tear) von Nora Nova gestartet.
Am 4. Juni 1961 nahm Nora Nova in Baden-Baden mit dem Titel „Du bist so schön, wenn du lächelst“ an den deutschen Schlagerfestspielen teil. Ins Rennen geschickt wurde sie vom Süddeutschen Rundfunk. Sie erreichte den vierten Platz. Die Nummer erschien auf der zweiten Single ebenfalls 1961.
Produzent Nils Nobach wurde im gleichen Jahr von der Ariola abgeworben. Er nahm einige seiner Künstler zum neuen Arbeitgeber mit, darunter auch Nora Nova. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Nils Nobach auf dem neuen Label die Single „Che Vero“, eine Nummer, die er zusammen mit Rudi von Dovenmühle geschrieben hatte. Auf der Rückseite fand mit „Am weissen Strand von Santorin“ die deutsche Version einer Nummer der griechischen Filmkomponisten Manos Hadjidakis Platz. Eine neue Nora Nova präsentierte Nils Nobach mit der zweiten Ariola-Single. Nobach war zu dieser Zeit mit Angele Durand verheiratet. Diese feierte im Januar mit der Nummer „Ja, ich bin die tolle Frau (von der Tingel Tangel Schau)“ einen Hit in Deutschland. Offensichtlich unter dem Eindruck dieser Nummer schrieben Nobach und von der Dovenmühle den Song „Tombola Lola“, mit dem sie ein Stück von dem Erfolg der „tollen Frau“ abschneiden wollten. Zum Leidwesen des Duos liess sich dieser Erfolg nicht klonen.
Den ersehnten Hit für Nora Nova brachte die dritte Ariola-Single. Der Titel „Männer gibt’s wie Sand am Meer“ kletterte im Februar bis in die Top 20 der deutschen Hitparade. Arrangiert ist sie im Stil der damals erfolgreichen Twist-Hits. Die Nummer wird laut den Angaben auf der Platte den Autoren Roman Horn, Lambert Fleming und Peter Poll (Friedel Berlipp) zugeschrieben. Die Gema allerdings weist als Komponisten Bruno de Filippi aus. Damit dürfte es sich bei dem Titel um eine Coversion eines italientischen Schlagers handeln.
Auch die folgende Single lehnte sich an den Twistsound an. Und sie enthielt definitiv zwei Coverversionen von italienischen Liedern. Bei der A-Seite „Ich bin kein Engel – ich bin ein Biest“ handelt es sich um die deutsche Version von „La Ragazza Col Maglione“, geschrieben unter anderem von Pino Donaggio, der später den Welthit „You don’t have to say you love me“ komponierte und ihn auch in der italienischen Originalfassung selber sang. Auf der Rückseite befindet sich mit „Jose Jose“ die deutsche Fassung von „La Partita Di Pallone“. Es war Pavones erste Single und gleich ihr erster Hit. In Italien gab es damals einen Streit, wem der Titel zustünde. Anlass war der überraschende Erfolg von Neuling Rita Pavones-Fassung. Denn eigentlich sollte die Nummer die Karriere einer anderen Sängerin weiterbringen, jene von Cocky Mazzetti. Mazzettis Version verblasste neben jener von Pavone. Angesichts des Erfolges von Pavone intervenierte Mazzettis Plattenfirma. Sie legte ein Schreiben von Edoardo Vianello, dem Autor des Songs, vor, in dem dieser bestätigte, den Song exklusiv für Mazzetti geschrieben zu haben: "Le posso confermare che la canzone "La Partita Di Pallone" l'ho scritta, in collaborazione con il Maestro Carlo Rossi, esclusivamente per la signorina Cocky Mazzetti." (Quelle:
http://cverdier.blogspot.de/2009/01/196 ... ia-al.html).

Es half nichts: Pavone stieg zum Superstar auf. Mazzetti verblieb nur eine Nebenrolle in der Geschichte der italienischen Unterhaltungsmusik. Interessanterweise gab es auch in Deutschland es zwei Interpretationen des Titels: "Jose, Jose" von Nora Nova und "Okay! Okay!" von Rita Pavone. In Deutschland schaffte es der Titel bei beiden Künstlerinnen allerdings nur auf die B-Seite! Bei Rita Pavone war "Wenn ich ein Junge wär' auf der A-Seite zu hören, ihr erster und grösster Hit auf Deutsch. Bei Nora Nova hiess die Nummer der A-Seite "Ich bin kein Engel - Ich bin ein Biest". Der Unterschied: Bei Nora Nova floppten A- und B-Seite.
Ohne Erfolg blieb „Dreh dich nicht um nach andern Frau’n“ und „Immer, immer auf die alte Tour“, ein Titel, der von Udo Jürgens geschrieben wurde.
Im Jahr 1964 erreichte die Karriere von Nora Nova ihren Höhepunkt. Die Sängerin gewann am 11. Januar 1964 in Frankfurt die deutsche Vorentscheidung für die Teilnahme am Grand Prix Eurovision. Der Hessische Rundfunk hatte sechs Komponistenpaare beauftragt, einen Titel einzureichen. Nora Nova gewann überlegen mit der Nobach/von der Dovenmühle-Nummer „Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne“. In Kopenhagen blieb sie damit ohne Punkt. Das nervös wirkende jazzig angehauchte Chanson floppte auch bei den Fans. Die Nummer lag konträr zum Geschmack der Jugend, die daran war, die Beatmusik zu entdecken. Ariola veröffentlichte 1965 eine weitere Single, die genauso mit dem Zeitgeist kollidierte und deshalb auch kollabierte.
Nora Nova zog sich danach aus dem Schaugeschäft zurück. Sie blieb bis in die 70er Jahre im Galageschäft, kümmerte sich aber vorwiegend um das Lokal ihres dritten Mannes Toni Otto in Wuppertal. Ende der 60er Jahre trennte sich von ihm und zog nach Düsseldorf. In den 70er Jahren liess sie sich in München nieder, wo sie erst diverse Modeboutiquen betrieb und zuletzt ein Antiquitätengeschäft. Nach dem Fall der Mauer verliess sie München. Offen blieben allerdings einige Rechnungen, wie mir der Hausmeister ihres letzten Domizils verraten hat.
Nora Nova trat immer in der Rolle der grossen Dame auf, perfekt frisiert, topmodisch gekleidet. Sie war der komplette Gegenentwurf zur Jugendbewegung, die sich mit Jeans und lässiger Kleidung vom eleganten Establishment absetzte. Einer Zeit, die von Künstlern wie Ted Herold, Cliff Richard, Rex Gilde oder Gitte und Conny Robes geprägt wurde. Die „Grande Dame“ stellte sich in Benimm und Stil gegen die neue Welt der Teenager. Dies hielt ihre Produzenten nicht davon ab, Nora Nova Twist-Titel interpretieren zu lassen. Das musste scheitern: Auftritt und Musikstil passten nicht zusammen, wurde von der Jugend nicht als authentisch wahrgenommen.
Nora Nova wollte eine Karriere als Dame im Schaugeschäft beginnen, als die Ära der grossen Damen wie Lys Assia, Gitta Lind, Lonny Kellner oder Ilse Werner ziemlich abrupt zu Ende ging. Das Schallplattengeschäft erlebte in den frühen 60er Jahren eine Entwicklung weg vom Erwachsenen- hin zum Teenymarkt. Die Jugend investierte ihr Geld für Schallplatten und Konzerte. Sie begann das Geschäft zu dominieren, weshalb sich das Angebot anpassen musste an diesen Trend. Jugendlichkeit verkaufte sich, nicht Eleganz und Noblesse, die den Geruch des Altväterischen verbreiteten. Es war deshalb nicht verwunderlich, dass sich das Produkt Nora Nova mitte der 60er Jahre mit dem Siegeszug der Beatbands selbst überlebte.